Wer ist schuld an Co-Abhängigkeit und Alkoholismus?

Wer ist schuld, dass ich schon als Jugendlicher alkoholkrank war?
Zu vierzig Prozent ich vielleicht? Denn bis zu sechzig Prozent der Kinder aus Alkoholikerhaushalten werden alkoholkrank. Quelle: doccheck – Kinder aus Alkoholikerfamilien

Aber ist man überhaupt schuld an einer Krankheit? Bullshit also.
Somit gilt das für die Generationen davor auch. Meine Eltern sind nicht schuld, dass ich gesoffen habe. Sie hatten den zweiten Weltkrieg als Jugendliche erlebt und im Wirtschaftswunderland soffen so ziemlich alle. Bei den Büchern meiner Eltern befand sich ein Tachenbuch mit dem Titel „Weniger Alkohol. Ein Programm zur Selbstkontrolle“ aus dem Jahr 1978. Der ausgefüllte Selbsttest (vermutlich meiner Mutter) ergab: „Sie befinden sich wahrscheinlich bereits in der kritischen Phase des Alkoholismus  …  Wenden Sie sich an Ihren Arzt oder an  eine der Institutionen … .“
So ist das halt mit dem Alkoholismus. Wenn ich erkenne, dass kontrolliert weitertrinken, wie das Buch es versprach, nicht mehr funktioniert, habe ich keine weitere Idee mehr. „Wenden Sie sich an Ihren Arzt …“ – dazu fehlt das Vertrauen. Sag es Deinem Partner.  – – – selbst dazu fehlt Dir das Vertrauen, obwohl Du mit ihm weiter zusammen leben willst, oder? Sonst würdet Ihr Euch doch trennen 😉

Die Frage nach der Schuld bringt uns nicht weiter.

Es geht darum, dass wir durch Traumata in Kindheit und Jugend verlernt haben, zu vertrauen. Wir können kaum jemandem vertrauen – natürlich nicht den Eltern, die uns eine heile Welt vorgaukeln und selber vollkommen kaputt sind, nicht dem Partner, nicht den Freunden.

In jungen Jahren habe ich in Beziehungen gar nicht offen reden können. Eigentlich befürchtete ich immer, dass meine Freundin die Beziehung beendet, wenn ich mich „lächerlich mache“, also meiner Rolle nicht gerecht werde. Deswegen habe ich auch schon mal vorbeugend eine Beziehung beendet.
Wenn Reden also ausfällt muss die Kommunikation anders stattfinden. Die Mechanismen kommen aus dem Elternhaus. Wenn es mir schlecht ging habe ich mich volllaufen lassen und darauf gewartet, dass sich jemand um mich kümmert. Das funktioniert halt gut bei Partnern, die darauf reagieren und das sind eben oft Menschen, die auch ein Päckchen aus dem Elternhaus mitbringen. Das muss übrigens nicht immer ein Suchtproblem sein, denke ich. Das Helfersyndrom, typisch für Co-Abhängige, kann auch eine Folge anderer Traumata aus Kindheit und Jugend sein.

Um jetzt die Misere eines Alkoholikerhaushalts zu beenden braucht der Abhängige Vertrauen in sich selbst, dass er es schaffen kann. Er muss seinem Partner vertrauen, dass er den Weg mitgeht, dass er ihn trotz der vielen Horrorjahre noch liebt. Er sollte dem Hausarzt vertrauen, der Suchtberatung, der Klinik…
Der Co-Abhängige muss seinem Partner vertrauen, dass er aufhören will. Nicht dass er es schafft. Das kann niemand versprechen. Dass er es will. Und er muss darauf vertrauen, dass der Kranke es alleine hinbekommt, ohne Hilfe durch den Co. Und der Co muss vertrauen, dass der Partner ihn noch liebt, wenn er trocken zurück kommt. Liebe ohne Gegenleistung. Ganz schwer zu begreifen für beide. Das Abhängigkeitsverhältnis der Eltern hält man ja für den Normalzustand,  zum Teil gar für eine „glückliche Ehe“.

Es heißt oft, man müsse den Suchtkranken fallen lassen. Es geht ums Loslassen. Man muss den Suchtkranken los … lassen. Wenn ich ihm nicht vertraue, dass er es schaffen kann, dann wird er fallen.
Bitte nicht falsch verstehen. Solange jemand krankhaft trinkt, ohne etwas daran zu ändern, muss man alle im Umfeld in Sicherheit bringen und therapieren.
Aber sobald jemand gesagt hat, dass er aufhören will, dann muss man ihm das doch wenigstens zutrauen. Egal, wie oft er rückfällig wird – solange er es weiter versucht, hat er doch auch nicht unser Vertrauen enttäuscht. Es reicht halt die Kraft nicht und da er immer wieder rückfällig wird, muss er die Trockenheit außerhalb der Familie suchen.

Es geht nie um Schuld. Es geht immer um Vertrauen.

Alkoholische Früherziehung

gerade heimgekommen, kurz vor fünf. Sehr nachdenklich.
Ich war zuerst in einem Metal-Schuppen und mache am Anschluss dann gerne noch eine Rad-Sightseeingtour durch die alkoholisierte Innenstadt. Das ist wohl so ein Überbleibsel aus der Vergangenheit – wie die Zombies wieder ins Kaufhaus gehen. Am Ende dann noch in die Kneipe so gegen drei.
Irgendwie zufällig ins Gespräch gekommen, es ging um Motorräder und ich sagte, dass ich nichts dagegen hätte, wenn mein Sohn kein Interesse am Moppped-Fahren hätte. Als Vater sieht man das ja etwas anders.
Mein Tresen-Nebenmann erwiderte, dass er das Problem nicht hätte. „Aber saufen tut der Bub nicht!“.
Zuerst einmal habe ich ihm gratuliert, er plauderte aber einfach mal weiter, wahrscheinlich froh, mal unter Männern über Erziehungsprobleme reden zu können: Er würde ihn so gerne im Verein sehen, aber dort wird halt getrunken und das mag der Bub nicht. Er fände halt gut, wenn er mitmachen würde, wegen der Gemeinschaft. Sonst stelle er sich nicht so an. Einen Selbstgebrannten habe er schon mit getrunken. Der Bub ist sechzehn.
Ich habe ihm dann gesagt, dass er das lassen soll und als er wieder ansetzen wollte einfach mal erwähnt, dass ich trockener Alkoholiker bin weil ich mit vierzehn angefangen habe zu trinken, mit sechzehn alkoholkrank war und dass es eine Riesensch…e ist, das wieder loszuwerden.
Er hat nach einer längeren Pause mir dann erstmal seinen Respekt bekundet, dann noch eine Weile versucht, meinem Vortrag über in der Jugend erworbene Süchte zu folgen und war dann froh, als sich unser Gespräch in Richtung Massentierhaltung entwickelte.
In dem Moment war ganz gut, dass mein Helfersyndrom mir mittlerweile  etwas Freiraum lässt, zu erkennen, dass ich nichts tun kann um dies arme Kind zu retten.
Einige „nasse“ Gedanken, was ich mit dem Irren machen könnte, sind mir schon gekommen. Aber am Ende siegt zum Glück die Einsicht, dass man niemanden ändern kann, außer sich selbst.

Gute Nacht 🙂